Der Reisebericht - vom Abenteuer zur Dichtung

Der Reisebericht - vom Abenteuer zur Dichtung

In deutschen Landen sorgt im Jahre 1668 eine Publikation für Aufsehen: der „Simplicissimus“ von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, eine Reiseerzählung in Form des Abenteuerromans. Damit tritt er in die Fußstapfen von Miguel des Cervantes‘ bereits 1605 veröffentlichtem Roman „Don Quijote“. Im Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte weitet sich die literarische Gattung des Reiseberichts zunehmend zur dichterischen Erzählung aus.

Reisen ins Innenleben

Im der Epoche des Sturm und Drang (ca. 1765-90) brechen sich schließlich persönliches Empfinden, die Schilderung eigener Gefühle und Imaginationen gänzlich Bahn, der Reisebericht wird im Allgemeinen von jedwedem Zwang zur Wahrhaftigkeit und realitätsgetreuen Wiedergabe freigesprochen. Ein starker Ich-Bezug dominiert, die „Ratio“ tritt hinter den Emotionen des einzelnen Individuums deutlich zurück. Als Vorbild dient vielen Autoren Laurence Sternes 1768 erschienener Roman „Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien“.

Gefallen finden auch Reiseerzählungen in Tagebuchform, wie etwa Goethes „Italienische Reise“, in dem der Autor seinen Aufenthalt in Italien zwischen September 1786 und Mai 1788 beschreibt, ausschmückend, räsonierend und sich selbst hinterfragend, basierend auf seinen tatsächlichen Reisetagebuch-Eintragungen.

Schöngeistiger Trend

Am Ende dieser Entwicklung hat sich die Literatur vielerorts gänzlich vom Journalismus gelöst, schöngeistig, kraft der Sprache „gestaltete“ Wirklichkeit gilt der realen, faktenbezogenen als überlegen. Nicht von ungefähr betitelt Goethe seine 1811 erscheinende Autobiographie mit „Dichtung und Wahrheit“ und zollt damit dem ehedem vorherrschenden Zeitgeist Tribut. Der seinerseits je und je von einer realitätszugewandten Gegenströmung erfasst wird – unwiderruflich beschwören beide Bewegungen einen Streit um Realismus herauf.

Kostproben im Wortlaut

„Es genügt für meinen Leser, wenn er nämlich selbst gereist ist, daß er durch Studium und Nachdenken über das Vorstehende fähig werden kann, sich seinen eignen Platz und Rang in diesem Verzeichniß anzuweisen – es wird ein Schritt weiter zu seiner Selbsterkenntniß sein; denn man kann wohl alles wetten, daß er bis auf diese Stunde von all dem, was er in der Fremde angenommen oder mit hinausgebracht hat, noch einen leisen Anstrich, eine kleine Aehnlichkeit an sich behalten hat.“

(aus „Yoricks empfindsame Reise“)

„… mein Herz steckte voll Angst und Furcht, die Schenkel voll Müdigkeit, der leere Magen voll Hunger, das Maul voll Durst, das Hirn voll närrischer Einbildung, und die Augen voller Schlaf: Ich ging dennoch fürder, wußte aber nicht wohin, …“

(aus dem „Simplicissimus“)

„Ich warf mich ganz allein, nur einen Mantelsack und Dachsranzen aufpackend, in eine Postchaise und gelangte halb acht Uhr nach Zwota, an einem schönen stillen Nebelmorgen. Die obern Wolken streifig und wollig, die untern schwer. Mir schienen das gute Anzeichen.“

(aus  „Italienische Reise“)

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